Canale mortale by Heidi Schumacher

Canale mortale by Heidi Schumacher

Autor:Heidi Schumacher [Schumacher, Heidi]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-01-11T16:00:00+00:00


Das Boot hatte schon angelegt, als Antonia ankam. Sie beeilte sich, an Bord zu kommen, und fand Don Orione in lebhaftem Gespräch mit einem älteren Paar. Die drei standen in der offenen Mitte des Vaporetto, und es schien, als redeten und gestikulierten sie synchron. Don Orione winkte freundlich zu Antonia herüber und wandte sich dann einer Frau mit ihrer kleinen Tochter zu. Während der Fahrt ergab sich keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen; unentwegt begrüßte er Bekannte oder wurde von anderen Passagieren angesprochen. Antonia fand einen Sitzplatz am offenen Bug und genoss die Fahrt. Leichter Wind war aufgekommen und milderte die brennende Sonne.

Der Vaporetto kreuzte den Kanal und steuerte auf die gegenüberliegende Giudecca zu. Antonia lehnte sich über die Reling, um die näher kommende Häusersilhouette der Insel zu fotografieren. Als sie auf Höhe der Redentore-Kirche fuhren, sah sie an der Promenade plötzlich Flavia aus der Gasse kommen, in der ihre Wohnung lag. Hinter ihr, etwas langsamer, ging ein Mann, den sie nicht erkennen konnte, weil er von Flavias hoher Gestalt verdeckt wurde. Als sich das Boot weiter in Richtung San Giorgio bewegte, konnte sie noch sehen, dass der Mann zögerlich und in eckigen Bewegungen ging. Antonia machte rasch ein Foto, zoomte das fertige Bild in der Kamera heran und vergrößerte es. Der Mann trug einen ebenso hellen Anzug, wie Guido ihn bei ihrem gemeinsamen Treffen getragen hatte. Und er ging so, wie sie Guido hatte gehen sehen. Aber die Aufnahme war leicht verwackelt, und der Mann war wegen der großen Entfernung nicht eindeutig zu erkennen.

Erst als sie an der Klosterinsel anlegten, hatte Don Orione Zeit, sich zu ihr zu gesellen.

»Ich sehe, Sie fotografieren viel. Braves Mädchen! Ich werde Ihnen gleich den Ausblick vom Campanile zeigen. Dort haben Sie eine herrliche Sicht bis zu den Alpen …«

Antonia wartete draußen vor der Kirche geduldig, bis Don Orione von seiner Besprechung im Kloster zurückkam. Dann folgte sie ihm durch die Kirche bis zum Aufzug, der auf den Aussichtsturm führte. Der Fahrstuhl wurde von einem hübschen jungen Mönch bedient, der sie beide freundlich begrüßte, dabei jedoch nur Don Orione ansah, während er Antonias Blick scheu vermied. Don Orione schien sehr angetan von dem jungen Mann, denn sein Gesicht rötete sich während der Unterhaltung, und als sie oben ankamen, griff er nach seinem Kragen und lockerte ihn ein wenig.

»Immer wenn ich auf San Giorgio bin, fahre ich hier hoch«, erklärte er Antonia. »Die Aussicht sollte man sich nie entgehen lassen.«

Der Turm war nach allen Seiten offen, und es zog stark durch die Fenster, der Blick war jedoch atemberaubend. Er ging über die Adria auf der einen, über die Stadt und die Lagune bis zu den Alpen auf der anderen Seite. Antonia schoss ein Foto nach dem anderen, während Don Orione schon nach kurzer Zeit wieder dem Lift zustrebte.

»Nur noch zwei Minuten, Don Orione!«

Im Aufzug sah Antonia, wie sein Blick wieder voller Wohlgefallen auf dem ernsten jungen Mann ruhte, der sie unten mit einem schüchternen Lächeln verabschiedete.

»Ein Kaffee wäre jetzt schön.«

Sie folgte Don Orione, der am Jachthafen vorbei mit ausgreifenden Schritten eine kleine Bar ansteuerte.



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